26.04.2007

#8 (trauer) (teil 2)

1:27:08
/sand. fast die hälfte des bildes nur sand: das sandige ufer eines flusses. krähen, im hintergrund, am flussufer 2 hockende figuren. hinter dem wasser grünes gebüsch/
/45° von hinten links: eine frau und ein mann hocken im untiefen wasser. sie wäscht gemüse, er wäscht zwei lange holzstäbe, die in dem sand stecken/
schuss-gegenschuss (die frau von 90° rechts, der mann von 90° links)
in der ersten einstellung beginnt sie zu sprechen. sie schaut zunächst nach unten, auf das gemüse, das sie gerade wäscht. dann erhebt sie den kopf und dreht ihn nach rechts zu dem mann/der kamera.
in der zweiten einstellung antwortet er und erhebt dabei seinen kopf, der auf seine im wasser arbeitende hände gerichtet war, und dreht ihn nach links zu der frau/der kamera.
sie sprechen über die vielen krähen, ein zeichen, dass eine beerdigung stattfinden würde, und wundern sich, aus dem krematorium keinen rauch aufsteigen zu sehen.
in der vorletzten einstellung dreht der mann seinen kopf wieder nach vorne, von der frau weg.
in der letzten einstellung macht die frau dieselbe bewegung.
/45° von hinten links: die frau und der mann hocken im untiefen wasser. sie nehmen ihre arbeit wieder auf/
/das menschenleere flussufer. 3 krähen. hinter dem gebüsch am gegenüberliegenden ufer des flusses ein kamin aus rotem ziegel/
/nahaufnahme: blauer himmel, der kamin/
1:27:54

1:29:23
/ein friedhof. angereihte grabsteine. hinter den gräbern, ein deich. auf dem deich laufen, von links nach rechts, 2 frauen, identisch gekleidet in schwarzem kimono. sie laufen nebeneinander, machen halt. sie kehren der kamera den rücken, gehen, nebeneinander, synchron in die hocke/
/45° von hinten rechts: die beiden identisch gekleideten frauen (sie sind schwestern) hocken am rand eines weges. genauer gesagt kommen sie in die hocke an, beenden die in der vorherigen einstellung von weitem beobachtete bewegung. sie blicken nach vorne. die ältere schwester beginnt zu sprechen. sie wendet dabei den blick auf ihre schwester/
schuss gegenschuss (die ältere schwester von 90° rechts, die jüngere schwester von 90° links)
sie sprechen von den zukunftsplänen der jüngeren schwester, von wichtigen entscheidungen. die jüngere schwester sagt: „ich zweifle“. und dann entscheidet sie: „ich werde nach sapporo fahren.“
in der letzten einstellung nickt sie, dreht danach den kopf langsam nach vorne.
/45° von hinten rechts: die ältere schwester dreht ihren kopf nach vorne. nach einer kurzen pause schauen sie sich kurz an und beginnen dabei, sich wieder langsam aufzurichten. sie schauen wieder nach vorne/
/vorne die grabsteine, hinten der deich auf dem sich 2 schwarze figuren langsam aufrichten, nebeneinander, synchron/
1:31:02

(trauergesellschaft)
1:33:48
/45° von vorne links: die dritte schwester. sie trägt einen schwarzen kimono. sie kniet hinter dem tisch, vor ihr auf dem tisch eine graue tasse auf einer schwarzen untertasse. hinter ihr eine grau blaue wand, links hinter ihr auf einem regal eine vase im selben grau wie die tasse auf dem tisch. ein kaum wahrnehmbares zucken in ihrer rechten wange. dann wischt sie sich mit einem tuch unter das linke auge. und dann schluchzt sie. sie führt ihre linke hand mit dem taschentuch auf ihren mund. ihr kopf fällt nach vorne/
1:34:00
/eine andere frau sitzt am selben tisch. wir sehen sie im profil, von ihrer linken seite. im vordergrund eine ecke des tisches. hinter ihrem rücken, auf der rechten seite des bilds die grau blaue wand, vor ihr, auf der linken seite des bilds, ein innenhof: eine wand aus holz, hinter der eine rote mauer aus ziegelsteinen ragt, davor rote blumen. sie dreht den kopf langsam nach rechts und nach oben. sie hat etwas gesehen. sie schaut nach links, in den raum rein, schaut wieder nach rechts. sie erhebt sich/
1:34:08
/im vordergrund der tisch mit der trauergesellschaft, im hintergrund die öffnung zum hof. die frau, die an der schwelle zum hof saß, erhebt sich. sie tritt in den hof. alle gäste erheben sich, bewegen sich auf den hof zu/
1:34:23
/aus dem kamin aus rotem ziegel quillt weißer rauch/
1:34:28

1:35:17
/die sandbänke am ufer des flusses. krähen. hinter den büschen des gegenüberliegenden ufers der kamin aus rotem ziegel, aus dem weißer rauch quillt/
/45° von hinten links: die frau und der mann hocken im untiefen wasser. sie wäscht gemüse, er wäscht 2 lange holzstäbe. sie schaut nach oben. sie erhebt sich/
/die frau von 90° rechts: sie beginnt zu sprechen. sie schaut kurz nach rechts zu dem mann, lässt ihren blick ansonsten nach vorne gerichtet/
/der mann von 90° links: er antwortet und erhebt dabei seinen kopf, der auf seine im wasser arbeitende hände gerichtet war, und schaut nach vorne. er erhebt sich/
/45° von hinten links: die frau und der mann stehen im untiefen wasser. sie reiben sich die hände/
/das menschenleere flussufer. 3 krähen. hinter dem gebüsch am gegenüberliegenden ufer des flusses der rauchende kamin aus rotem ziegel/
schuss-gegenschuss (die frau von 90° rechts, der mann von 90° links)
sie sprechen im stehen, den blick nach vorne gewendet.
in der vorletzten einstellung sagt er einen längeren satz, mehrere sätze vermutlich. es sind rhythmische worte, ein spruch oder ein gedicht. silben wiederholen sich. in der übersetzung steht nur: die alten sterben, die jungen nehmen ihre plätze. er blickt beim sprechen unentwegt nach vorne. zu beginn der einstellung liegt seine rechte hand auf der linken hand vor seinem bauch. die handfläche ist dem himmel zugewendet. nach der letzten silbe, die er spricht, bleibt sein mund offen.
in der letzten einstellung lächelt die frau. sie antwortet dem mann. sie sagt, so sei eben die welt. ihr lächeln blüht beim sprechen auf. als wäre dieser satz ein glück. als wäre das aussprechen diesen satzes ein glück. lächelnd bückt sie sich, geht wieder in die hocke.
/45° von hinten links: die frau und der mann gehen wieder in die hocke, kurz versetzt, und nehmen ihre arbeit wieder auf. der mann wischt sich mit einem feuchten tuch den nacken/
1:36:28


kohayagawa-ke no aki (der herbst der familie kohayagawa) (dernier caprice) (the end of summer), japan 1961 (yasujirô ozu)

23.04.2007

#7 (schläfrig)

rosa
sie steht hinter der theke. sie trägt ein helles kleid. auch ihre lockigen haare sind hell. sie bleibt hinter der theke stehen. sie ist ein oberkörper über der theke, ein heller oberkörper: 2 arme, ein kopf. sie ist das bescheidene mädchen.

raquel
sie kommt hereinspaziert. sie läuft in das café. man sieht hinter einem fenster, wie sie die straße entlang geschlendert kommt. dann erscheint sie in der tür des cafés, dreht sich nach rechts, um in das café einzukehren, und wippt bei dieser drehung mit den hüften. sie trägt eine weiße bluse und eine schwarze, eng anliegende weste. ihr lockiges haar ist schwarz. sie trägt einen kleinen schwarzen hut, der quer über ihre stirn geht. natürlich raucht sie. sie tanzt auch. sie ist die femme fatale.

die männer tragen alle anzug und hut. nur der helligkeitsgrad der anzüge (im schwarz-weißen bild) variiert. unter den tief getragenen hüten sind sie kaum zu unterscheiden. außer natürlich dem helden carlos (carlos gardel) und seinem freund linares.
die haupteigenschaft der männer ist, dass, wenn eine frau alleine vor einer tür oder theke steht (wenn rosa alleine vor der tür des tanzsalons in buenos aires steht, wenn raquel alleine am rande der tanzfläche desselben lokals steht, wenn rosa alleine vor der tür eines séparées desselben lokals steht, wenn raquel alleine vor der theke des new yorker lokals steht…), ein mann (mindestens ein mann) mit hut und anzug erscheint, der fragt, ob die frau alleine sei, fragt, ob die frau etwas trinken wolle, fragt, ob die frau tanzen wolle. und nicht immer auf ihre antwort wartet.

„solita?“

kein wunder, unter solchen bedingungen, dass es unter den männern zu handgreiflichkeiten kommt. mit folgenden waffen: messer, flasche, revolver.

kein wunder auch, dass die frau hinter der theke am sichersten bewahrt bleibt. treu und geborgen.

so geht es also in buenos aires. und so geht es in paris weiter, so geht es in new york weiter. zwischendurch schlafe ich (und bin mir letzendlich nicht sicher, was in paris, was in new york geschieht, und ob der held wirklich nach new york kommt).

zum schluss wird buenos aires besungen und wieder erreicht.
dort wartet rosa, hinter einem vorhang hinter der theke.


cuesta abajo (abwärts), usa 1934 (louis j. gasnier)

13.04.2007

#6 (l'enfer des sables)

(auf der insel)
er sitzt auf einer niedrigen mauer, hinter ihm das meer. und plötzlich merkt man: sein atem stockt (zumindest habe ich es plötzlich bemerkt, vielleicht auch nur, weil ich erst auf das meer schaute, zerstreut war…). man merkt, sein atem stockt. er atmet ein, und bei jedem einatmen scheint es, die luft würde stecken bleiben. der kopf (gewissermaßen der obere teil des kopfes) erhebt sich dabei leicht (als würde also der kiefer unbewegt bleiben): bei jedem atemzug dieses stockende erheben des kopfes. man versteht diese bewegungen nicht (und deshalb, vielleicht, nimmt man sie erst mit verspätung wahr). atemnot, schluchzen?
dann steht er auf, steht unbeholfen. der oberkörper scheint auf den beinen sein gleichgewicht zunächst suchen zu müssen (ich weiß nicht, ob das einer tatsächlichen bewegung des oberkörpers entspricht). ein unbeholfener körper in einer uniform, die die proportionen verzerrt und den eindruck der unbeholfenheit und ungelenkigkeit nur verstärkt. die unteren knöpfe des schwarzen fracks liegen weit oben auf dem bauch, die schultern mit den üppigen epauletten sind breit: ein kurzer, breiter oberkörper hält sich über lange weiße beine, die erst über die knie: über die langen, steifen stiefeln beginnen, und wird oben beendet mit hohen epauletten und einem steifen kragen, aus dem kein hals herausragt, sondern gleich: der kopf. ist das ein burlesker körper? oder der pathetische kampf des körpers (seiner instinkte) gegen die (uni)formen, die ihn bezwingen?
er ist also aufgestanden. er steht da, am meer, und dreht sich um sich selber, d.h. tritt humpelnd im kreis, auf unebenem boden. er geht, links.

(im salon)
„…on ne saurait mieux empocher sa tabatière.“
sie grüßt nach rechts, doch hält sich nicht auf, geht weiter, wendet dabei den kopf und wirft ein wort nach links. sie ist ein vor- und rückschreiten, ein wenden und drehen ohne unterbrechung. in ständiger, geschmeidiger bewegung zeichnet sie mit ihrem körper arabesquen durch den salon: mit ihrem ganzen körper – ein ständiges wenden nicht nur des kopfes, ein drehen um die eigene ständig in bewegung gehaltene achse. sie sagt ein wort nach da, geht dabei vorbei, dreht sich um den adressaten und sagt schon ein zweites wort nach dort, „ma tante…“, und sie schreitet auch schon in die entgegengesetzte richtung weiter. der hals als grazilsten ausdruck ihrer fließenden präsenz.

(darum wird es also gehen: der hals. alles dreht sich um den hals, den bezaubernden hals der jeanne balibar, den verborgenen hals des guillaume depardieu.
der ursprung allen unglücks: sie ist nur hals, er hat keinen)

(in ihrem boudoir)
plötzlich bewegt er sich nach links. wie ein geschoss bewegt er sich plötzlich nach links. der oberkörper leitet die bewegung – ein stürzen nach links, und dann ein undefinierbares räuspern, zu lang für ein einfaches husten. er dreht sich nach rechts, dreht sich um sie. „wie soll ich es sagen, dass ich sie liebe…

sie steht am kamin, er steht zu ihrer rechten seite. sie blickt abseits, nach links. langsam wendet sie ihren blick ihm zu und macht zeitgleich schritte nach hinten. dämpft, indem sie zurücktritt und so die entfernung vergrößert, die intensität des blickes.

sie sitzt nach links gewendet an ihrer kommode. in zügigem rhythmus macht sie sich mit einem fächer luft. sie wird beim fächern immer langsamer, legt den fächer ab. langsam dreht sie sich auf ihrem hocker. sie dreht sich um 180 grad, beugt sich dabei leicht nach vorne (am ende der bewegung also nach rechts auf der leinwand). sie stürzt sich nach rechts, dem umschlag, den sie zerrissen hatte, zu.


(stimme von jeanne balibar)
en vérité, monsieur le marquis, vous regardez mon cou d’un air si mélodramatique […] qu’il me semble vous voir une hache à la main.“

(la contredanse)
sie steht im tanzsaal, entrückt. ihre blicke: verloren. die schnellen körper der tänzer durchqueren im vordergrund das bild. ihr verlorener, wandernder blick im hintergrund. dann wird sie bei der hand genommen: ein tänzer nimmt sie selbstverständlich bei der hand, reißt sie aus der starre. sie tanzt, immer schneller. sie wird selber zu einem dieser schnellen körper im tanzsaal.

sie versteift.
das fließende ihres schreitens durch die pariser salons ist geschwunden.

(in seiner kammer)
und da sitzt er nun in einem stuhl oder sessel. in meiner erinnerung hält er sich mit einer hand das kinn. gedankenvoll, ein starren. in meiner erinnerung (so der eindruck, den er mir hinterlassen hat), sackt er, wenn er sitzt, immer zusammen, sackt sein oberkörper zusammen (keine spur eines halses, wenn er sitzt). das von oben einfallende licht lässt seine augenhöhlen im dunklen, nicht nur die augenhöhlen: sein augenbrauenbogen zeichnet einen markanten wulst, der nicht nur die augen, auch den ansatz der nase im dunkeln verweilen lässt. es scheint, unter dem massiven stirnbein würde sich etwas entziehen: ein zentraler ort, der im dunkeln bleibt.
wenn er sich nach links dreht (oder war es nach rechts?), um auf die uhr zu schauen, sieht man am unteren rand der rechten (oder linken?) wange eine lange narbe.

elle pleura quand elle atteignit le boulevard d’enfer. là, pour la dernière fois, elle regarda paris fumeux, bruyant, couvert de la rouge atmosphère produite par ses lumières…

irgendwann zwischendurch hatte man gesehen: schwarze leinwand und zwischen gedankenstrich und punkt zwei wörter
- en vain.


ne touchez pas la hache, frankreich 2007 (jacques rivette)