27.06.2007

#13 (la naissance de l’amour) (rastlos)

schnelles treiben der kamera durch räume, deren anordnung ich nicht verstehe. trennwände, vorhänge, menschen, die sich bewegen, die handlungen durchführen, die ich nicht verstehe. zwei affen. es scheint ein ort des hastigen vergnügens zu sein. sind wir in einer spielhölle? sind wir in einem zirkus? ein vorhang fällt, die kamera eilt in einen anderen raum. plötzlich ist ein gesicht da, eine frau im hellen kimono, ein gesicht, auf das die kamera zu ruhen vorgibt. es ist das gesicht einer frau, die sich schminkt: ein ruheloses gesicht. die kamera verharrt vor diesem gesicht in ständiger bewegung.
/dann kommt ein schnitt, der zunächst nur als tonänderung vernommen wird: dasselbe gesicht, ungeschminkt, über einem dunklen kimono, in einem engeren raum, das gesicht selber jedoch genau im selben winkel, leicht nach links gewendet, wie aus der vorherigen einstellung übernommen. und genauso rastlos geht es weiter (geht es in ihr, in ihren erinnerungen weiter), das gesicht in einer kutsche geschüttelt. sechs menschen sitzen in der kleinen kutsche, die soeben von einem riksha überholt wird, worauf die fahrgäste sich beim kutscher beklagen, ihn auffordern, seinen ehrgeiz reizen, bis er zur peitsche langt. mit der beschleunigung werden die fahrgäste immer heftiger geschüttelt. das übermütige geschüttelt-werden bereitet ihnen freude. /schnitt: die kutsche steht am wegesrand. der kutscher hantiert mit seinem werkzeug. die fahrgäste necken ihn. die kutsche ist nicht zu reparieren. der kutscher soll in die nächste ortschaft fahren. er zäumt ein pferd ab, packt die junge frau auf das pferd, galoppiert weg. er bringt die junge frau in eine herberge und verschwindet.
(diese erinnerungen immer wieder unterbrochen durch das gesicht der sich schminkenden frau: tomo, die „wassermagierin“)

nach der aufführung findet tomo auf einer brücke nahe ihres hauses einen schlafenden mann: es ist der kutscher, von dem sie noch nicht weißt, das er kin genannt wird. er lehnt an der brüstung. sein gesicht ist halb im schatten. wir sehen es in manchen einstellungen auch ganz im schatten von tomos körper, unerklärlicherweise in manchen einstellungen auch ganz im licht. ich erinnere mich an eine vielzahl von einstellungen, frage mich, ob sie sich so viel zeit nimmt, bevor sie ihn weckt.
nach der aufführung ist ruhe in den film eingetreten. was folgt ist ein langsamer, behutsamer tanz der annäherung

…sie steht neben ihm, tritt nach hinten (tritt ins unscharfe), kehrt nach vorne zurück. sie sagt ihm, sie wolle ihm helfen…

…sie sitzen auf dem fußboden ihres hauses. er sitzt rechts, sie sitzt links, den körper 45° nach rechst gewendet. /zwischentitel: er fragt sie, was sie von ihm erwarte/ neue einstellung: jetzt sitzt er links, sie sitzt rechts, 45° nach hinten gewendet. die frage wird mehrmals gestellt, abweichend beantwortet. es folgt eine dritte einstellung: er sitzt hinten, frontal zur kamera, sie sitzt vor ihm, 45° nach hinten gewendet und zieht sich sogleich zurück: verschwindet hinter einen paravent am rechten bildrand. zwei mal, glaube ich mich zu erinnern, bückt sie sich nach vorne und ihr kopf erscheint hinter dem paravent. zuletzt beantwortet sie seine frage: was sie von ihm erwarte, sei nur ein wenig aufmerksamkeit.

er nimmt das angebot an, und danach wird es, wie der erste zwischentitel es angekündigt hatte, nur noch um geld gehen.


taki no shiraito (le fil blanc de la cascade) (the water magician) (white threads of the waterfall), japan 1933 (kenji mizoguchi)

22.06.2007

#12 (jede matratze ist ein versprechen)

es gibt zwei reglose körper, die eigentlich ein einziger körper sind. ein schauspieler für zwei körper, zwei körper für einen körper, oder doch nur einen körper, zwei zustände für einen körper (der eine versehrt, der andere verletzlich), zwei daseinsformen eines körpers (der eine viel jünger erscheinend als der andere), zwei fiktive körper für einen darstellenden körper, zwei körperfiktionen, also. ein körper, der wunsch- oder alptraum des anderen. der jünger erscheinende körper ist kahl geschoren, er liegt reglos in einem krankenhausbett: außer wenigen augenbewegungen völlig reglos. der andere etwas älter erscheinende körper trägt schnurbart, lange haare. er wird zu beginn des films verprügelt, daher das veilchen, das dem film seinen chinesischen titel gibt. er spricht nicht, er ist ausländer. er besitzt nichts außer seinen jeans, einem hemd, einer unterhose, schuhe, an die ich mich nicht erinnern kann. er ist chinese in kuala lumpur. er wird den raum, in dem der andere körper liegt, nicht betreten. sie werden sich durch die ritzen eines holzbodens erblicken.

(der erste körper wird gewaschen, eingeseift, seine zähne werden geputzt, mit etwas zahnpaste auf einem finger im gummihandschuh, er wird gedreht, am rücken eingecremt, besprüht, am bauch eingefettet und massiert, masturbiert, mit plastikfolie bedeckt.)
(der zweite körper wird auf der strasse gefunden, auf einer matratze durch die stadt getragen, in ein haus gebracht, auf die matratze gelegt. seine wunden werden versorgt, medikamente werden verabreicht. der körper wird gewaschen, aus- und angezogen (seine kleider werden gewaschen), er wird ernährt und beim urinieren wird ihm geholfen. er wird vor mosquitos geschützt, seine stirn wird gekühlt.)

um nicht einsam schlafen zu müssen, braucht man einen körper, mit dem man den schlaf teilen kann; man braucht auch einen ort, einen schlafplatz, der geteilt werden kann (man braucht eine matratze). beides verlangt arbeit: eine schwere matratze tragen ist wie ein regloser körper tragen. nein, es ist schwieriger: ein körper ist handlicher.
arbeit: eine matratze aus dem müll holen, die matratze durch die halbe stadt schleppen, die matratze waschen (bürsten), trocknen, besprühen, beziehen, für die matratze den richtigen platz finden.

die wege einer matratze durch kuala lumpur, durch die sehnsüchte 3 (oder 4) menschen. die zirkulation dieses kleinsten ortes.

das schöne ist: diesen ort gibt es.


hei yan quan (i don’t want to sleep alone), taiwan 2006 (tsai ming-liang)

03.06.2007

#11 (wie schnee oder regen)

sie faltet geldscheine auf wie briefe (wie jemand, der selten briefe erhält, briefe auffaltet).

(vagabundieren)
ein schatten, fast quadratisch, gleitet eine straße entlang. die einstellung umfasst den ganzen schatten, der sich gleichmäßig fortbewegt: den quadratischen schatten und um ihn herum am rand des bildes die von der sonne beleuchtete straße. die schritte, die der körper, von dem dieser schatten ausgeht, setzt, schreiben sich genau in diesen quadrat ein.
sie läuft auf ihrem schatten und beschreibt aus dem off diesen schatten wie eine kröte.

i fall too easily for men, heißt es mehrmals in den untertiteln.
sie hatte sich über daté lustig gemacht, hatte dann auch gesagt (als begründung, als entschuldigung): i fall too easily for men. sie steht im garten eines tempels. sie hält ihre hände zusammen. er steht ihr gegenüber, leicht versetzt, sodass wir seinen rücken sehen, ohne dass er sie hinter sich verbergen würde. in der perspektive der kamera steht er links von ihr. mit seiner rechten hand nimmt er ihre hände, und in dem augenblick, wo er sie berührt, erhebt sich ihr ganzer körper, nur sehr leicht, nur sehr kurz (ich würde sagen: kaum wahrnehmbar, aber das sage ich wahrscheinlich zu oft).
dann drehen sie sich um (also: vor allem sie). sie laufen nach hinten, nebeneinander.

später gibt es keinen garten mehr zu sehen (doch, aber ganz am schluss, im epilog).
zweimal sehen wir sie, wie sie nachts durch einen friedhof läuft.
in der nacht sehen wir nur weiße grabsteine und ihr bleiches gesicht.

(hideko takamine)
ihr seitenscheitel, der den kopf sehr rund erscheinen lässt.
ihr buckel: ein leichtes nach vorne gebücktsein.
ihr schmollen. ihr fatalistisches heben der linken unterlippe
ihre erzählende stimme aus dem off.

(weiße buchstaben)
sie sitzt vor einem gitter aus holzstäben. hinter dem gitter, eine straße, regen. sie sitzt träumend, das eine bein ausgestreckt.
dann wird die einstellung von weißer schrift bedeckt. wie ein regen auf dem bild, denke ich.
(meistens sind es straßenszenen, in denen texte von hayashi fumiko, der von hideko takamine verkörperten dichterin, eingeblendet werden)
die weiße schrift wie regen, denke ich also bei dieser einstellung (für mich, der diese schrift nicht liest). und dann denke ich kurz an den schnee im film von resnais (coeurs - herzen) (in diesem film schneit es bei jedem übergang von einer szene in die nächste. es schneit im wohnzimmer, es schneit in der bar, es schneit im büro…). statt schnee, hier, ein niederschlag von wörter auf das bild. in weißer schrift kalligraphierte dichtung als übergang von einer station zur nächsten im vagabundierenden leben der autorin. wobei, denke ich aber sofort, schnee ein eher unpassendes bild für diese gedichte ist: wenn, dann würde es doch eher um asche gehen (sie hat ja auch vor hohen feuerflammen gestanden und gezögert, ein manuskript zu verbrennen). asche. oder staub (anderseits: im film ist nur von müll die rede, wenn es um eine beschreibung ihrer gedichte geht… garbage, wie es in den untertiteln heißt). und dabei ist diese schrift so weiß.

sie sitzt schreibend an einem niedrigen tisch (unter einer lampe).
ihr gegenüber sitzt ein junges mädchen aus der bar: ihr zarter kopf auf schmalem hals, eine breite frisur tragend, und darunter: stoffkaskaden. ihr kimono und den stoff in ihren händen, an dem sie näht.
sie spricht von fumikos schönem gesicht beim schreiben
dann gibt es andere einstellungen, nahaufnahmen.
plötzlich erhebt sich neben fumiko, unter decken verborgen, ein körper (ein anderes mädchen aus der bar). sie erhebt ihren oberkörper, im schlaf, legt sich (fällt) sofort wieder hin.

einbrechen des unerwarteten.
nach einem streit mit fukuchi: hohe flammen im kleinen garten
(kurz blitzt der name buñuel auf)

(das einbrechen der prostituierten gegen ende des films)

in einem gedicht von ihr heißt es: wie ein ball im wind.

so hatte es übrigens angefangen: ein kleines mädchen schaut in die kamera, schaut und rennt weg, flieht.


hôrôki (aufzeichnungen über mein vagabundieren) (drifting), japan 1962 (mikio naruse)