09.04.2008

#24 (das sprachlose gesicht)

…und auf ihn alleine fällt alle scham, ein gesicht zu haben.
rilke, „malte laurids brigge“

über zwei während der nippon connection 2008 gesehene filme

1) kôji wakamatsus „united red army“ ist eine historische fiktion über eine gruppe der japanischen roten armee fraktion. er beginnt, dem genre verpflichtet, mit dokumentarischem bildmaterial, zwischen dem einzelne nachgespielte szenen gezeigt werden. immer öfters erinnert der spielfilm in „united red army“ an den 35 jahre früher gedrehten film „ecstasy of the angels“, und bald kann man „united red army“, zumindest den mittleren teil des films, als remake von „ecstasy of the angels“ erkennen. das einschreiben im genre des pink eiga films wurde durch das genre der historischen fiktion ersetzt.
eine sexfreie variante von „ecstasy of the angels“: dieselbe klaustrophobie der handlung, dieselbe auslassung jeder erklärung der handlungen der terroristen, die als pures bombenwerfen bzw. trainieren beschrieben wird. von ihrer aktion bleiben nur fetzen eines ideologischen diskurses, pures handeln und machtstrukturen. beendet wird dieser mittlere teil des films durch ein direktes zitat von „ecstasy of the angels“: die prüden anführer der ura nackt im bett. sie im vordergrund, liegend, er dahinter, aufrecht.
vor dieser enthüllung hatten die anführer der ura die aufforderung zur selbstkritik zu einem höllischen instrument ihrer macht erhoben. am grausamsten bekommt es eine schöne kämpferin zu erfahren. sie wollte in den bergen als krieger neu geboren werden. nun hat sie hart zu kämpfen, und wenn sie aufgefordert wird, selbstkritik auszuüben, weißt sie nichts zu sagen – eine sprachlosigkeit, die sich nur selber steigern kann. je mehr sie gefragt wird, desto undurchsichtiger wird, was von ihr erwartet wird, desto weniger möglich scheint es, eine antwort zu formulieren. als würde das brutale, selbstsichere fragen sie nur weiter aushölen, jeden gedanken an wörter ins nichts stürzen. und sie bleibt schön, mit ihrem sprachlosen blick. dieser sprachlosigkeit können die machtausübenden letztendlich nur durch entstellung, durch löschung dieses gesichts antworten.
(noch nie habe ich, im kinosaal, so laut schluchzen hören wie über das schicksal dieser studentin)

2) er schließt die tür auf und tritt sofort zurück, bleibt gegen die wand stehen, das gesicht leicht zur hellen wand gedreht. er antwortet mit widerwillen. es sind kaum wörter, die er von sich gibt, das gesicht nach unten, zur wand gewendet. er ist durch das klingeln aus dem bett gejagt worden. seine haare stehen wirr und lassen unter sich die nackenhaut sehen. sein profil vor dieser wand, leicht von hinten: die geschwollenen augen, die nase, die lippen, das kinn wie 4 oder 5 kleine wülste einer fleischigen masse. ein formloses profil: das gesicht wie im begriff in die wand zu verschwinden. die andere stimme lässt nicht los, fordert auf. seine antworten sind die knappsten antworten. „today?“ sagt er. „now?“ und bewegt sich nicht.
später, das verziehen des gesichts, wenn er angesprochen wird, wie das zucken einer wunde. dieser kopf ist das zentrale objekt des films, aus allen blickwinkeln. ein gesicht, das sich dem blick entzieht; ein gesicht auf der flucht aus dem bild, gesicht, das für niemanden bild sein will, das sich vor nichts so fürchtet wie davor, gesicht zu sein (gesicht sein zu müssen).


jitsuroku: rengô sekigun (united red army), japan 2007 (kôji wakamatsu)
ima, boku wa… (now, i...), japan 2007 (yasutomo chikuma)