31.03.2008

#23 (spuren in der wüste)

am anfang blutspuren in der unendlichen ebene, blutstropfen in der wüste, die zum schauplatz eines kampfes führen. aus einer anderen richtung her, auch zu diesem schauplatz führend, reifenspuren im sand, hin und zurück, in beiden richtungen. der cowboy, der sheriff, der killer, spuren verfolgend, spuren hinterlassend. die elektronischen spuren als tackern, ansonsten staub und blut. die spuren einer aktentasche im staub. blutspuren auf dem asphalt. spuren, die im schatten verschwinden, sich im niemandsland verlieren.

erinnere mich zwischendurch an die letzte episode der vampires von feuillade:
die vampires in einem wagen auf der flucht. mazamette läuft ihnen hinterher, schießt auf den wagen. dabei trifft er, ohne es zu merken, einen ölkanister, der am wagen befestigt ist. das öl fängt zu tropfen an. mazamette rennt weiter hinter den wagen her, stolpert und fällt: mit der hand ins öl. zunächst ärgert er sich über die schmutzige hand, holt ein taschentuch raus, begreift jedoch plötzlich sein glück, so auf den faden gestolpert zu sein, der den fortgang der intrige (und ihren grausamen schluss) ermöglichen wird.

die gradlinigkeit des episodenfilms ist nur noch der traum alter sheriffs, die kopfschüttelnd einem verwirrten netzwerk von spuren begegnen, die keine richtung bestimmen.


no country for old men, usa 2008 (joel and ethan coen)
les vampires, épisode 10: les noces sanglantes, frankreich 1916 (louis feuillade)

14.03.2008

#22

die zwei männer sitzen am strand, wie der jüngling von flandrin: die arme um die knie, den rücken abgerundet. sie sitzen etwas versetzt, der (falsche) bruder im vordergrund, dessen körper, mit ausnahme des kopfes, im schatten. er bleibt sitzen, den kopf auf den armen, auch nachdem der andere aufgestanden ist. der andere ist aufgestanden, und die einstellung verlängert sich. die streng komponierten posen, diese dauer – gewollter augenblick der verunsicherung. und die musik (ich weiß nicht mehr, ob auf dieser einstellung die dissonanten streicher zu hören sind). gewolltes brechen, gewolltes bedeutsames, verunsicherndes loch in der narration. so gewollt, dass in dieser dauer nur noch der wille zur dissonanz bleibt. der wille zum werk.

er sitzt wie ein baby auf dem boden, neben der blutlache, den rücken zur kamera / schwarze leinwand, in gothischen buchstaben „there will be blood“. und frage mich, ob nur ein schlechter witz – elegant/bedeutsam dissonant gekleidet in atonalen streichern und stark kontrastierter fotographie.


there will be blood, usa 2008 (p.t. anderson)

05.03.2008

#21 (wochentage, farbige wände)

auf der berlinale sah ich koji wakamatsus film „ecstasy of the angels“ an einem späten abend und war schon etwas müde, die augen etwas abgenutzt, und es war schön, sich von den bildern, vom free jazz treiben zu lassen.
die kämpfer, die dieser film zeigt, werden nach wochentagen, monaten und jahreszeiten benannt. sie haben keine anderen namen als montag, februar oder herbst, namen die, wie man es im laufe des films erfährt, einen platz in einer hierarchie bezeichnen. außer einem überfall auf eine militärbasis am anfang des films sehen wir diese kämpfer hauptsächlich in wohnungen. mal ist es tag, mal nacht, oft ist die tageszeit unbestimmt. es gibt (mindestens) 4 wohnungen, in denen sie sich treffen. in diesen wohnungen reden sie, streiten, haben sex, zerfleischen sich. in der erinnerung scheint es mir wie eine willkürliche kombinatorik, wer mit wem in welcher wohnung sich aufhält, wer auf wem liegt. die intrige könnte man so zusammenfassen: die gruppe um herbsts oktober ist gescheitert, weigert sich jedoch die teuer erkämpften waffen (und den kampf) an winters februar zu übergeben und widerspricht der strengen regel der ungebundenheit des kämpfers. herbst ist übrigens eine frau und empfängt im bett, nackte haut gegen nackte haut. ab und an gibt es auch einige straßenbilder: eine bombe wird geworfen. eine der wohnungen wird zwischendurch verlassen und gesprengt

eine woche später sah ich „rote sonne“.
die kämpferinnen in diesem film heißen peggy, sylvie, christine und isolde. sie teilen sich eine wg, die der zentrale ort im film ist. sie haben berufe, also vermutlich auch arbeitszeiten, doch sie scheinen sich wenig um tag und nacht zu scheren. der film und ihr alltag fließt am tag-nacht-rhythmus gleichgültig vorbei. es gibt in der wg eine küche, ein bad und 4 schlafzimmer. jedes schlafzimmer hat seine wandfarbe: rot, blau, grün, gelb. die zimmer sind nicht zugeordnet, jede mitbewohnerin benutzt abwechselnd jedes zimmer. so sehen wir sie abwechselnd in den verschiedenen zimmern, schlafend, frühstückend, redend, bomben bastelnd. ihre aktivitäten in dieser wg sind von tageszeit und raum losgekoppelt. die intrige könnte man so zusammenfassen: sympathie und gefühle aus einer früheren welt (in der gestalt von thomas, des ehemaligen freundes peggys) stellen die strengen regeln der gefühlslosigkeit und ungebundenheit in frage. es werden bomben gebastelt, es gibt eine probeexplosion, doch der ernste anschlag scheitert. schusswaffen werden dahingegen großzügig eingesetzt.

die namen im ersten film bezeichnen plätze in einer hierarchie, austauschbare plätze und finden ihre entsprechung in den wandfarben der wgzimmer. mir gefiel die einfachkeit dieser zeichen. eine wandfarbe, ein wochentag. diese farben empfand ich als dieselben farben mit denen, im kindergarten in dem ich einige vergessene jahre verbracht habe, die unterschiedlichen klassen bezeichnet wurden. die orangen waren in diesem system die älteren.
farben, wochentage: schöne einfachheit. und doch bezeichnet sie den verzicht, den die helden beider filme nicht halten können, den verzicht auf einen namen, auf einen eigenen raum. sie führen die utopie der selbstaufgabe des kämpfers als revolutionnäres kinderspiel vor.


tenshi no kokotsu (ecstasy of the angels), japan 1972 (koji wakamatsu)
rote sonne, brd 1970 (rudolf thomé)