13.04.2007

#6 (l'enfer des sables)

(auf der insel)
er sitzt auf einer niedrigen mauer, hinter ihm das meer. und plötzlich merkt man: sein atem stockt (zumindest habe ich es plötzlich bemerkt, vielleicht auch nur, weil ich erst auf das meer schaute, zerstreut war…). man merkt, sein atem stockt. er atmet ein, und bei jedem einatmen scheint es, die luft würde stecken bleiben. der kopf (gewissermaßen der obere teil des kopfes) erhebt sich dabei leicht (als würde also der kiefer unbewegt bleiben): bei jedem atemzug dieses stockende erheben des kopfes. man versteht diese bewegungen nicht (und deshalb, vielleicht, nimmt man sie erst mit verspätung wahr). atemnot, schluchzen?
dann steht er auf, steht unbeholfen. der oberkörper scheint auf den beinen sein gleichgewicht zunächst suchen zu müssen (ich weiß nicht, ob das einer tatsächlichen bewegung des oberkörpers entspricht). ein unbeholfener körper in einer uniform, die die proportionen verzerrt und den eindruck der unbeholfenheit und ungelenkigkeit nur verstärkt. die unteren knöpfe des schwarzen fracks liegen weit oben auf dem bauch, die schultern mit den üppigen epauletten sind breit: ein kurzer, breiter oberkörper hält sich über lange weiße beine, die erst über die knie: über die langen, steifen stiefeln beginnen, und wird oben beendet mit hohen epauletten und einem steifen kragen, aus dem kein hals herausragt, sondern gleich: der kopf. ist das ein burlesker körper? oder der pathetische kampf des körpers (seiner instinkte) gegen die (uni)formen, die ihn bezwingen?
er ist also aufgestanden. er steht da, am meer, und dreht sich um sich selber, d.h. tritt humpelnd im kreis, auf unebenem boden. er geht, links.

(im salon)
„…on ne saurait mieux empocher sa tabatière.“
sie grüßt nach rechts, doch hält sich nicht auf, geht weiter, wendet dabei den kopf und wirft ein wort nach links. sie ist ein vor- und rückschreiten, ein wenden und drehen ohne unterbrechung. in ständiger, geschmeidiger bewegung zeichnet sie mit ihrem körper arabesquen durch den salon: mit ihrem ganzen körper – ein ständiges wenden nicht nur des kopfes, ein drehen um die eigene ständig in bewegung gehaltene achse. sie sagt ein wort nach da, geht dabei vorbei, dreht sich um den adressaten und sagt schon ein zweites wort nach dort, „ma tante…“, und sie schreitet auch schon in die entgegengesetzte richtung weiter. der hals als grazilsten ausdruck ihrer fließenden präsenz.

(darum wird es also gehen: der hals. alles dreht sich um den hals, den bezaubernden hals der jeanne balibar, den verborgenen hals des guillaume depardieu.
der ursprung allen unglücks: sie ist nur hals, er hat keinen)

(in ihrem boudoir)
plötzlich bewegt er sich nach links. wie ein geschoss bewegt er sich plötzlich nach links. der oberkörper leitet die bewegung – ein stürzen nach links, und dann ein undefinierbares räuspern, zu lang für ein einfaches husten. er dreht sich nach rechts, dreht sich um sie. „wie soll ich es sagen, dass ich sie liebe…

sie steht am kamin, er steht zu ihrer rechten seite. sie blickt abseits, nach links. langsam wendet sie ihren blick ihm zu und macht zeitgleich schritte nach hinten. dämpft, indem sie zurücktritt und so die entfernung vergrößert, die intensität des blickes.

sie sitzt nach links gewendet an ihrer kommode. in zügigem rhythmus macht sie sich mit einem fächer luft. sie wird beim fächern immer langsamer, legt den fächer ab. langsam dreht sie sich auf ihrem hocker. sie dreht sich um 180 grad, beugt sich dabei leicht nach vorne (am ende der bewegung also nach rechts auf der leinwand). sie stürzt sich nach rechts, dem umschlag, den sie zerrissen hatte, zu.


(stimme von jeanne balibar)
en vérité, monsieur le marquis, vous regardez mon cou d’un air si mélodramatique […] qu’il me semble vous voir une hache à la main.“

(la contredanse)
sie steht im tanzsaal, entrückt. ihre blicke: verloren. die schnellen körper der tänzer durchqueren im vordergrund das bild. ihr verlorener, wandernder blick im hintergrund. dann wird sie bei der hand genommen: ein tänzer nimmt sie selbstverständlich bei der hand, reißt sie aus der starre. sie tanzt, immer schneller. sie wird selber zu einem dieser schnellen körper im tanzsaal.

sie versteift.
das fließende ihres schreitens durch die pariser salons ist geschwunden.

(in seiner kammer)
und da sitzt er nun in einem stuhl oder sessel. in meiner erinnerung hält er sich mit einer hand das kinn. gedankenvoll, ein starren. in meiner erinnerung (so der eindruck, den er mir hinterlassen hat), sackt er, wenn er sitzt, immer zusammen, sackt sein oberkörper zusammen (keine spur eines halses, wenn er sitzt). das von oben einfallende licht lässt seine augenhöhlen im dunklen, nicht nur die augenhöhlen: sein augenbrauenbogen zeichnet einen markanten wulst, der nicht nur die augen, auch den ansatz der nase im dunkeln verweilen lässt. es scheint, unter dem massiven stirnbein würde sich etwas entziehen: ein zentraler ort, der im dunkeln bleibt.
wenn er sich nach links dreht (oder war es nach rechts?), um auf die uhr zu schauen, sieht man am unteren rand der rechten (oder linken?) wange eine lange narbe.

elle pleura quand elle atteignit le boulevard d’enfer. là, pour la dernière fois, elle regarda paris fumeux, bruyant, couvert de la rouge atmosphère produite par ses lumières…

irgendwann zwischendurch hatte man gesehen: schwarze leinwand und zwischen gedankenstrich und punkt zwei wörter
- en vain.


ne touchez pas la hache, frankreich 2007 (jacques rivette)

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