09.03.2007

#4

schwarze quader, aufgestapelt. holzregale voller aufgestapelter quader: tuschestäbchen. langsam gleitet die kamera an den dunklen holzregalen, nach oben, in richtung einer lichtquelle. sie gleitet die regale lang. von oben dringt weißes licht in den raum, doch die öffnung, durch die dieses licht eindringt, bleibt unsichtbar. bevor sie sie erreichen würde, schwankt die kamera nach links, gleitet weiter an regalen voller trocknender tuschestäbchen, schwebt: ein schweben durch dunkle räume. stille, und dann ein leises, klares klingeln. (ting)…(ting)…(ting)… eine glühbirne, eine weiße wand an der waagerecht eine leiter aus holz hängt. die kamera dreht nach rechts, folgt einem gang. sie schwebt an fenstern vorbei auf der rechten seite des gangs, verharrt vor den fenstern und blickt auf die ateliers hinter den fenstern. die wände sind weiß, die rahmen der fenster rot. man hört kinderstimmen. „wird das abgehen?“ „ja, das ist doch nur holzkohle“. auf einer fensterscheibe spiegelt sich ein hof, 2 kinder um eine rote form. im atelier schwarze pressen. die kamera gleitet nach oben, zu den dächern, dem weißen himmel, gelingt in den hof. grelles, weißes licht. 2 kinder – beide tragen ein weißes hemd, dunkle kurze hosen – hocken um einen roten plastikeimer. der eine junge wischt dem anderen mit einem schwamm das schienbein ab. sie sprechen, lachen. „schwarz, wie tinte“ sagt einer. plötzlich hört das klingeln auf: in der stille springt der eine junge auf, in zeitlupe sieht man ihn losrennen und hört wie er dabei herausfordernd „shun“ ruft. der andere junge springt auch hoch, rennt ihm hinterher. durch die gänge des hauses, auf die strasse. sie laufen die engen strassen eines wohnviertels entlang. sie wechseln immer von einer strassenseite zur anderen, berühren einen pfeiler und wechseln die strassenseite, springen hoch um ein schild zu berühren und wechseln die strassenseite, immer einer nach dem anderen, lassen ihre hände an eine wand fahren und wechseln die strassenseite. das regelmäßige klingeln hat wieder begonnen. es ist lauter geworden und wird von einer litanei begleitet. sie laufen enge strassen entlang, kehren rechts in eine gasse ein. dann kommen sie durch ein holztor in einen garten. lautes grillenzirpen. im garten ist das metallische klingeln nicht mehr zu hören. die beiden jungen rennen auf den kies, kreisen um bäume. die kamera schwankt ihnen hinterher: ein heftiges schwanken, doch ohne hast: ein spielerisches verfolgen. sie lässt zwischendurch einen jungen aus dem blick, oder bleibt stehen, lässt sie rennen, fängt sie an der nächsten straßenecke wieder auf. sie haben den garten verlassen. sie laufen eine weiße wand entlang, der erste junge biegt rechts in eine enge gasse ein, der zweite folgt ihm, und plötzlich ist der erste junge verschwunden. er war abgebogen; er ist nicht mehr da. der andere junge bleibt stehen, schaut auf eine tür, links, auf ein tor, rechts. „kei ist verschwunden“ sagt er dann seinen eltern, die gleich um die ecke vor dem eingang zum tempel, aus dem das leise gleichmäßige klingeln tönt, sitzen. vor dem tempel hört man noch jemand sagen: „als hätten die götter ihn geholt“. schwarzblende.

(shun und yu)
er hatte an einem portrait von ihr gezeichnet.
sie fahren eine breitere verkehrsstrasse lang: er fährt fahrrad und sie steht auf der achse des hinteren rads, hält sich mit ihren armen an seinen schultern fest. sie fahren an einer schranke vorbei, die, nachdem sie über die schienen gefahren sind, anfängt zu klingeln (bing)…(bing)…(bing)… sie fahren die engeren strassen eines ruhigen wohnviertels lang, an einer kleinen baustelle vorbei. sie hält sich sehr steif auf dem fahrrad, blickt ab und zu leicht zur seite. dann sind sie in einer animierten einkaufstrasse. sie kommen mit ihrem fahrad auf die kamera zu. der wind spielt mit ihren haaren. shun fängt an zu pfeifen, kurz vor dem schnitt. dann wieder engere, ruhige gassen. sie biegen mehrmals nach rechts und links. sie tragen schuluniform. er trägt eine schwarze hose und ein weißes hemd, sie trägt schwarze strümpfe, einen schwarzen rock und ein weißes hemd. an einer strassenecke wedelt der wind ihren rock hoch und ihre weiße unterhose ist kurz zu sehen. kurz danach springt sie vom rad ab, läuft nach links ohne sich umzuwenden, während er mit dem rad nach rechts weiterfährt.
sobald er alleine ist, ist das leichte metallische klingeln wieder zu hören.
(ting)…(ting)…(ting)…

(shun)
In seinem zimmer. er sitzt und knöpft sein weißes hemd zu. er hört stimmen: sein vater und ein anderer mann.
kei... gibt es was neues? habt ihr ihn wiedergefunden?
ja

(yu)
lautes grillenzirpen, rhythmische männerstimmen
nahaufnahme. sie steht vor einer weißen wand, auf der ein unruhiger wind die schatten dichten geästs bewegt. ihr blick ist nach unten gerichtet, hat etwas leidendes, wendet sich nach rechts, kurz nach oben, wandert dann von rechts nach links, während der wind ihre schwarzen haare leicht bewegt. dann läuft sie, alleine, durch die strassen, die sie auf dem fahrrad stehend langgefahren war. an der baustelle vorbei.

die zeit ist gekommen“, sagt die schwangere mutter.

(ting)…(ting)…(ting)…
im tempel schlägt ein bonze mit einem kleinen hammer auf eine metallene trommel. im kreis um ihn sitzen menschen an einer riesigen holzperlenkette, die sie im kreis um den bonzen drehen. im rhythmus der hammerschläge fügen sie ihre hände zusammen, bringen dabei mit der rechten hand eine perle zu ihrer linken hand, um anschließend die hände wieder auseinanderzuführen und dabei mit der linken hand dem linken nachbarn die kette weiterzureichen, die sie zugleich mit ihrer rechten hand von ihrem rechten nachbarn wieder greifen. dabei murmeln sie ein gebet, preisen den buddha. auf der kette gibt es größere holzperlen (mindestens 2, wie es mir scheint), die derjenige, der sie gerade in der hand hat, zu seiner stirn führt.

die erinnerungen sortieren“, meint der vater.
danach reibt er sorgfältig ein tuschestäbchen, greift nach einem breiten pinsel und schreibt unter den blicken der mutter und des sohnes. wir sehen sein konzentriertes gesicht, hören die geräusche des sich windenden pinsel auf dem papier.
wir sehen, dass er geschrieben hat:
schatten
licht

die kamera schwankt, macht halt, setzt sich wieder in bewegung. sie ist ein begleiten und ein zögern in der begleitung. man kann denken: sie ist ein mitfühlen. oder: sie ist der abwesende. das begleiten durch den abwesenden, durch das abwesende. die bewegungen einer abwesenheit.

straßenfest. plötzlicher dichter regen. der die musik fast übertönt. die tänzer nur noch helle schatten im weißen regenfall. ekstatisches erlöschen.

(shun und yu)
er hatte ihr das portrait von kei gezeigt.
sie rennen durch die engen strassen des ersten ruhigen wohnviertels, an der kleinen baustelle vorbei. er greift ihre hand. dann sind sie in der animierten einkaufstrasse. sie laufen auf die kamera zu. dann wieder die engeren, ruhigen gassen. sie biegen mehrmals nach rechts und links. sie tragen schuluniform. es ist ein rennen bis zur erschöpfung. sie kommen an ihrem haus vorbei, biegen durch ein holztor in den garten mit kies. (im kino (das erste mal sah ich den film auf einer leinwand, d.h. wirklich gesehen habe ich ihn nicht, denn), im kino war mir schon längst schlecht geworden, wie mir schon einmal schlecht geworden war vor einem film von kiarostami (die iranischen straßen). mir wurde schlecht, ich saß vorne und es gab keine ausweichmöglichkeit, der saal war voll. und mir war so übel, dass ich die augen schließen musste, dass ich nur noch auf die untertitel schaute, wenn etwas gesagt wurde) sie rennen auf dem kies, an der hausecke vorbei, wo sie ihn geküsst hatte. und dann kommen sie an, und: es ist gar nichts. die mutter macht sich gerade auf den weg in den gemüsegarten (es fehlt hier, an anderer stelle, die beschreibung dieses gartens, der pflanzen, blumen…). auch yus mutter, die nicht ihre mutter ist, ist da. und nun gehen die frauen in den garten, ernten auberginen, und dann ist es doch wirklich soweit: die wehen.

man geht ins haus. die mutter liegt, und alle sitzen um sie herum (d.h. naomi kawase liegt und die schauspieler sitzen um sie herum. die regisseurin ist die mutter ist naomi kawase: regisseurin, schauspielerin, mutter. in einem anderen film auch (dieser andere film heißt tarachime) ist sie das alles gleichzeitig, bzw. wird in diesem film die regisseurin und schauspielerin zur mutter; ich sah das kind, das vor der vorführung im kinosaal gealbert hatte, aus ihrem geschlecht gleiten. die erste einstellung dieses anderen films war rot glänzend: die gebärmutter). die mutter liegt, alle anderen sitzen und atmen mit, und dieses rhythmische ein- und ausatmen ist ein mitfiebern, gesang, gebet, performance, die totale konzentration aller anwesenden auf dieses atmen eines einzelnen körpers: des gebärenden körpers.
und dann ist das kind geboren,
die nabelschnur getrennt.
das kind ist gewaschen
und die sonne geht auf.
die kamera zieht sich zurück.
verlässt das haus,
kehrt zurück zu den trocknenden tuschestäbchen.
zwischen den lagerhallen erklingen zwei kinderstimmen.
wird das abgehen?
ja, das ist doch nur holzkohle“.
bis in die schwärzeste ecke zieht sich die kamera zurück,
ecke in der unerwartet eine tür sich öffnet zum himmel über den dächern der stadt nara, die langsam schwebend verlassen wird.


shara (licht und schatten), japan 2003 (naomi kawase)

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